22. Februar 2022

Buchtipp: Extreme Ownership

Hier ein Lesetipp – nichts agiles und auch nichts für jeden Geschmack. Ein Buch zu Leadership in Militär und Wirtschaft… und wie ich für mich herausgefunden habe: Ein Buch über das ganze Leben.

Auch wenn „Gurus“ wie Jeff Sutherland und Donald Reinertsen durch ihren militärischen Hintergrund viel Bezug auf die Strategie, Taktik und Organisation der Streitkräfte nehmen, mag es doch für viele ein wenig Überwindung kosten, sich auf diese Themen einzulassen. „Extreme Ownership“ von Jocko Willink und Leif Babin stellt, wie ich finde, 12 genial einfache und universelle Leadership-Prinzipien vor ist aber zugleich auch voll mit Fallbeispielen aus dem „Krieg gegen den Terror“ der US-Streiträfte. Für die europäischen Leserin sind diese Geschichten meines Erachtens zu ausführlich und zu unreflektiert, doch wer sich dadurch nicht ablenken lässt, findet in den 12 Prinzipen eine kleine Schatzkiste für Beruf, Freizeit und Familie. Jedes Prinzip ist unglaublich einfach, unglaublich mächtig und dennoch so unglaublich weit entfernt von dem wie sich viele Menschen in Beruf und Privatleben verhalten. Doch mit der Lektüre des Buchs ist es nicht getan. Die Prinzipien für sich selbst umzusetzen, bedeutet tägliche Übung, das Leben lang. ;)

Die Bedeutung von Leadership im Militär

Die Zeiten, in denen mit Befehl und Gehorsam geführt wurde, sind in modernen Armeen vorbei. Insbesondere bei den Spezialkräften arbeiten autonome Teams fernab der Vorgesetzten um ein gegebenes Ziel zu erreichen. Planung und Ausführung übernehmen sie selbst. Wenn Teams in komplexen Umgebungen Ziele erreichen müssen, ist das Leadership essentiell für den Erfolg. Im Gegensatz zu agilen Teams müssen hier in „Echtzeit“ Entscheidungen getroffen werden – ähnlich wie im Cockpit funktioniert das am besten mit einer definierten Anführerin bei gleichzeitig flachen Hierarchien.

Nach Aussage der Autoren haben die amerikanischen Streitkräfte das Thema Leadership im Vietnamkrieg empirisch erarbeitet, aber danach nicht in die Ausbildung integriert, so dass es über die Jahrzehnte wieder aus der Armee verschwunden ist. Mit dem „Krieg gegen den Terror“ ab 2001 mussten viele Lektionen erneut gelernt werden, diesmal wurden die Erkenntnisse aber formalisiert und in Leadership-Trainings überführt.

Aufbau des Buchs

Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte (ich werde im Folgenden immer die Begriffe der Originalausgabe verwenden, denn ich finde sie griffiger als in der Übersetzung): „Winning the war within“, „Laws of Combat“ und „Sustaining Victory“. Jeder dieser Abschnitte stellt vier Leadership-Prinzipien vor. Jedes Prinzip wiederum stellt zunächst ein Fallbeispiel aus dem Einsatz in Ramadi (Irak) vor, bereitet dann daraus das abstrahierte Prinzip auf und stellt dann noch ein Beispiel aus der Wirtschaft vor. So. Das wars dann auch mit dem Militär in diesem Blogartikel – ich werde im Folgenden die Beispiele nicht wiedergeben, sondern kurz die Prinzipen mit meinen Worten und nach meinem Verständnis niederschreiben.

1. Extreme Ownership

Das erste Prinzip, welches auch den Titel des Buchs wiedergibt, ist so etwas wie das Basis-Prinzip, das sich in allen anderen Prinzipien wiederfindet. Die Kernaussage dabei ist: Übernimm die volle Verantwortung! Übernimm die Verantwortung für alles (sic) was deine Mitarbeiterinnen machen. Wenn etwas schiefläuft und du es auf deine Mitarbeiterinnen schiebst, wird sich dieses Muster dort wiederholen: Niemand wird für irgendetwas die Verantwortung übernehmen, immer werden andere schuld sein. Auch wenn etwas total danebengegangen bei dem du nicht beteiligt warst oder jemand gegen die Vorgaben gearbeitet hat: Es ist immer deine Verantwortung als Leaderin. Frage dich, ob du es nicht klar genug erklärt hast, ob du zu wenig unterstützt hast, was dein Beitrag zu dem Problem war. Andersherum: Falls du denken, dass deine Mitarbeiterinnen an einem Problem schuld sind, gibst du das Heft des Handelns aus der Hand, denn du musst deine Aufgaben mit genau diesen Mitarbeiterinnen erfüllen.

2. No Bad Teams, Only Bad Leaders

Das Verhalten der Leaderinnen entscheidet über die Leistung des Teams, nicht die Zusammensetzung des Teams. Wenn etwas nicht wie vorgesehen läuft, hat die Leaderin die Verantwortung, nicht das Team („Extreme Ownership“). Im Buch sind Beispiele, wie sich durch Tausch der Leaderin die Teamleistung signifikant nach oben oder nach unten verändert hat. Wenn du also etwas verbessern willst, kümmere dich zuerst um die Leaderinnen. Wenn diese ihre Mitarbeiterinnen motivieren, unterstützen, weiterbilden, zu einem echten Team machen, wird der Erfolg eintreten. Leaderinnen, die überzeugt sind, dass das Team nicht gut genug für sie ist, werden mit ihrem Team nie gut sein können. Dieses Prinzip ist quasi die Außensicht auf das erste Prinzip.

3. Believe

Dieses ist eines meiner Lieblingsprinzipien im Buch. Ich finde es sehr wirkungsvoll aber zeitgleich in vielen Organisationen schwer umzusetzen. Es geht um den Glauben. Um den Glauben an den Auftrag, den deine Vorgesetzte oder deine Kundin dir gibt. Verlasse ihr Büro mit der neuen Aufgabe nur dann, wenn du zum einen felsenfest davon überzeugt bist, dass diese Aufgabe sinnvoll und wichtig für dein Unternehmen oder die Welt ist und du zugleich ebenso überzeugt bist, dass du diese Aufgabe mit den dir zur Verfügung stehenden Mitteln in der gegebenen Zeit erledigen kannst. Fehlt dir der Glaube an einen der genannten Aspekte, kannst du nicht erfolgreich sein. Du kannst in diesem Fall den Erfolg nicht anstreben und den Glauben nicht an deine Mitarbeiterinnen weitergeben. Stelle dich also auf lange Diskussionen im Büro deiner Chefin ein – oder darauf „nein“ zu sagen.

4. Check the Ego

Dein Ego ist wichtig, es treibt dich an und macht dich erfolgreich. Du musst es aber überwachen, dass es sich nicht über deinen Erfolg stellt. Alte Glaubenssätze oder lokale Optimierungen wie Zielvereinbarungen und Karrierepfade können dich dazu verleiten, dich an manchen Stellen für dein Ego anstatt für die Mission bzw. das Unternehmen zu entscheiden. Prüfe regelmäßig dein Ego, ob es dir noch dienlich ist. Grübel-Alarmzeichen: War das meine Idee oder ihre Idee? Wer heimst jetzt die Lorbeeren ein? Was denken dann die anderen über mich? Soll sie es jetzt einfacher haben als ich damals?

5. Cover and Move

Zugegeben, hier wusste ich beim ersten Beispiel noch nicht, wie ich die überschlagende Vorgehensweise eines Spezialkräfte-Teams (die einen bewegen sich, die anderen sichern aus der Deckung, dann andersherum) auf die Wirtschaft übertragen sollte. Die Erklärung kam dann im zweiten Beispiel: Es geht darum, dass du als Mensch oder mit deinem Team mit anderen Menschen und Teams zusammenarbeiten musst um erfolgreich zu sein. Wenn du dich nur um den Fortschritt deines Teams kümmerst, ist das schädlich für die Organisation (wieder lokale Optimierung aus Lean-Sicht). Manchmal musst du mit deinem Team vorangehen und andere halten dir den Rücken frei, im Gegenzug wirst du dann aber im Anschluss andere Teams unterstützen, die dann mehr Fortschritt machen werden als ihr. Nur mit dem Arbeiten im Verbund kann deine Organisation erfolgreich sein.

6. Simple

Mache keine komplizierten Pläne, sie werden nicht funktionieren. Mache etwas Einfaches um zu lernen und das Selbstvertrauen im Team zu stärken. Dann ein bisschen mehr und dann noch mehr. Ein Plan muss in erster Linie so einfach sein, dass jede ihn versteht und jede ihn sich auswendig merken kann. Die Effizienz des Plans kommt erst an zweiter Stelle, sie bringt dir nichts, wenn der komplizierte Plan beim Kontakt mit der Realität zerbröselt.

7. Prioritize and Execute

Bei Prinzip Nummer sieben sagt der Titel schon alles. Im Alltag werden viele verschiedene Dinge auf dich einströmen, du hast das Gefühl viele Dinge gleichzeitig erledigen zu müssen. Auch wenn „alles gleich wichtig“ und „alles gleichzeitig“ Bestandteile von vielen Unternehmenskulturen sind, Erfolg zu haben setzt voraus, dass man priorisiert und sequenziell abarbeitet. Wie sagt man in meiner Heimat: „Der Fuchs, der zwei Hennen jagt, verhungert.“ Bei den Spezialeinheiten ist dieses Prinzip überlebenswichtig, doch auch im Privatleben und in der Wirtschaft ist dies ein essentielles Prinzip. Wenn du dich mit Lean und Agil beschäftigt hast, ist das nichts neues. Im Alltag erfordert es jedoch Konzentration und Fokus Dinge liegen zu lassen um andere erfolgreich abzuschließen. Das motiviert nicht nur durch den Erfolg, sondern auch durch „Zwischenerfolge“ auf dem Weg dorthin.

8. Decentralized Command

Auch dieses Prinzip sollte nichts neues sein: Lege die Befugnisse dorthin, wo die Informationen sind. Das bringt dir Vorteile bezüglich Geschwindigkeit und Qualität bei zu treffenden Entscheidungen. Im Buch führen die Autoren zu diesen beiden bekannten Punkten einen weiteren wichtigen Aspekt an: Dezentrale Entscheidungen schaffen weiter oben in der Organisation die notwendigen Ressourcen um die wichtigen Entscheidungen auf dieser Ebene zu treffen. Wenn du als Führungskraft bei deinen Mitarbeiterinnen mitdiskutiert und entscheidest, hast zu wenig Zeit für deine Aufgaben als Führungskraft. Und noch was: Das Prinzip sollte nicht maximiert werden: Den besten Punkt für den Grad der Dezentralisierung musst du im Kontext deiner Organisation festlegen.

9. Plan

Dieses Prinzip ist, wie ich finde, im Buch etwas wirr beschrieben. Es geht jedoch meiner Auffassung nach um die Wichtigkeit des Planungsprozesses: Erstelle Pläne so, dass allen klar ist, was das Ziel des Plans ist und warum das Ziel wichtig ist (siehe auch „Believe“). Beziehe alle beteiligten Menschen in den Plan mit ein, damit wird es auch deren Plan, was wesentlich für die Erfolgschancen ist. Beziehe alle wichtigen Risiken und Risikobehandlungen in den Plan mit ein. Erkläre vor der Umsetzung alle Beteiligten den Plan. Die Form ist dabei nicht wichtig. Es ist wichtig, dass alle den Plan verstanden und verinnerlicht haben, ebenso seinen Sinn. Es ist nicht wichtig, dass es schöne Präsentationen dazu gibt. Bespreche nach der Umsetzung ebenso mit allen den die Ausführung um für den nächsten Plan lernen zu können. Versuche, wenn möglich, den Planungsprozess (nicht die Umsetzung) zu standardisieren. Das vereinfacht die Schnittstellen und das Feedback während der Planung.

10. Leading Up and Down the Chain of Command

Das Führen in der Hierarchie nach unten bezieht sich auf Prinzipien, die schon genannt wurden: Stelle sicher, dass du die Strategie, die Motivation, den Sinn aller Projekte, Pläne, Maßnahmen klar deinen Mitarbeiterinnen vermitteln kannst und dass du auch selbst hinter diesen Zielen und Maßnahmen stehst. Je mehr sich die Mitarbeiterinnen mit ihrem Job in dem großen Bild bzw. „dem großen Plan“ (so was gibt es doch bei euch? ;)) wiederfinden, desto mehr unterstützen sie die erfolgreiche Umsetzung. Sehr interessant ist bei diesem Prinzip die andere Richtung: Das Führen nach oben. Auch hier ist „Extreme Ownership“: Deine Vorgesetzte weiß nicht, welche Probleme auf deiner Ebene existieren bzw. was möglich ist und was nicht? Dann hast du es ihr nicht ausreichend erklärt. Deine Vorgesetzte hat eine Entscheidung getroffen, die du und deine Mitarbeiterinnen als ungünstig betrachten? Dann hast du deine Vorgesetzte schlecht beraten. In Summe: Bevor du dich über das Management oberhalb von dir aufregst, denke zuerst darüber nach was du hättest tun können, damit die Dinge anders gelaufen wären.

11. Decisiveness amid Uncertainty

Dass keine Entscheidung zu treffen auch eine Entscheidung ist, und zwar die schlechteste aller Optionen, hat sich inzwischen herumgesprochen. Doch in der Praxis ist es nicht immer einfach, wenn alle Optionen mit gravierenden Nachteilen verbunden scheinen. Das heißt nicht, dass du aus der Hüfte heraus entscheiden musst. Nimm dir so viel Zeit, wie du benötigst (oder dir zur Verfügung steht) um die Lage zu analysieren und triff dann eine Entscheidung. Wenn du dir total unsicher bist und die Optionen gleichwertig erscheinen, wähle die Option, die sich eher rückgängig machen lässt. Eine Entscheidung zu treffen und sie später bei Bedarf anzupassen ist immer besser als in der Unsicherheit abzuwarten.

12. Discipline equals Freedom – The Dichotomy of Leadership

Moment, Disziplin ist doch das Gegenteil von Freiheit? Oder ist es nicht so, dass an manchen Stellen Disziplin Freiheit ermöglicht? Wenn du direkt beim ersten Weckerklingeln aufstehst, hast du mehr Freiheit um deine Dinge zu erledigen. Wenn du dich an die Regeln hältst, kannst du auch den Mund aufmachen. Wenn du dich an Prozesse hältst, hast du den Rücken frei für die wichtigen Entscheidungen. Gerade letzteres Beispiel zeigt aber auch die Zwickmühle auf: Zu viele oder unpraktikable Prozesse bedeuten nicht noch mehr Freiheit. Es ist eine Gratwanderung. Wo schafft Disziplin Freiheit und wo schränkt sie Freiheit ein? Das ist für die Autoren die Überleitung zur „Dichotomie der Führung“. Leadership bewegt sich bei vielen Parametern zwischen zwei gegensätzlichen Polen und muss irgendwo dazwischen das für die Situation angemessene Optimum finden. Als Leaderin musst du vorangehen, aber auch bereit sein zu folgen. Du musst entspannt sein, aber auch Gefühle zeigen. Du musst selbstbewusst sein, aber dein Ego im Griff haben. Du musst dezentral führen, aber dennoch die Kontrolle behalten. Du musst auf Details achten, aber du darfst dich nicht in sie hineinziehen lassen. Diese Liste könnte man beliebig fortsetzen. Jeder Aspekt hat in jeder Situation sein eigenes Optimum.

Zusammenfassung

Na, die Zusammenfassung habe ich eigentlich schon eingangs geschrieben. Das Buch bietet 12 einfach zu verstehende aber schwer anzuwendende wirkungsvolle Prinzipien für gutes Leadership. Die umfassenden Anekdoten aus der „Schlacht um Ramadi“ bieten zwar das Verständnis für die Prinzipien, können beim zweiten Lesen aber auch übersprungen werden. Aus der neutralen Beschreibung der Prinzipien und den Fallbeispielen aus der Wirtschaft werden die Prinzipien ausreichend gut greifbar.nDie Prinzipien bewähren sich im Beruf und auch im Privatleben. Die Basis von allen Prinzipien ist „Extreme Ownership“ und der letzte Aspekt, die „Dichotomie der Führung“ sollte ebenfalls bei der Anwendung im Hinterkopf sein.

Kurz nach dem Erscheinen dieses Buchs haben die Autoren das Nachfolgewerk namens „The Dichotomy of Leadership“ vorgestellt. In dessen Vorwort sagen sie, dass das Wort „extrem“ von vielen falsch aufgefasst wurde und sie daher mit dem zweiten Buch nachschärfen wollen. “Extrem” bezieht sich auf die kompromisslose Übernahme der Verantwortung. Bei den einzelnen Prinzipien hingegen kommt die oben beschriebene Gratwanderung zum Tragen. Dieses zweite Buch liefert noch einmal eine ganz andere Sicht auf Extreme Ownership, auch dies sollte in einer leader-inspirierenden Buchsammlung nicht fehlen.


Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die weibliche Form gewählt, nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

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