26. Februar 2015

Kanban im Hallenbad

Am Wochenende war ich mit der Familie in einem Allgäuer Freizeitbad und habe dort den direkten Vergleich zwischen einem Push-System und einem Kanban System erlebt. Hier nun ein paar Gedanken dazu.

Alles hat schon mal gut angefangen, als ich nach der Umkleide an den Spind mit der Nummer “666” geraten bin. Dadurch hatte ich während des ganzen Badespaßes immer einen Ohrwurm, nämlich den alten Schlager “Six six six, the number of the Spind“. Ach so, ich wollte ja was über Kanban schreiben.

Also: Da in dem Bad, da gibt es zwei Rutschen: Die einen nennt sich “Black Hole”, da wirft man sich in eine dunkle Röhre und düst an verschiedenen Lichteffekten vorbei. Naja, düsen ist relativ, bei mir hat’s manchmal ein wenig geruckelt, aber das lag eher an meiner Badehose von 1986. Die andere Rutsche war nach einem Canyon benannt, zur Benutzung dieser Rutsche benötigt man einen Rutschreifen. Einen solchen findet man neben der Auslaufzone der Rutsche in einem Stapel, oder man wartet bis ein “Auisgerutschter” einem einen Reifen übergibt. Mit einem Reifen ausgerüstet, kann man dann die Treppe hochlaufen und dann runterrutschen. Aus der Warteschlange jeder Rutsche kann man die Schlange an der anderen Rutsche beobachten. Ha, gleich erkannt: Die Canyon-Rutsche ist ein Kanban-System. Nur wenn ein Reifen frei ist, können neue Gäste ins System kommen. Grund genug die beiden Rutschen einmal aus Lean/Agile Sicht zu vergleichen:

WIP-Limitierung

Die Reifenrutsche hat ein WIP-Limit durch die begrenzte Anzahl an Reifen. Dadurch kann die Warteschlange oben an der Rutsche nie eine bestimmte Länge überschreiten. Wer im Besitz eines Reifens ist, hat eine kalkulierbare Wartezeit bis zum Rutschspaß. Hingegen kann wie Warteschlange an der Black-Hole-Rutsche beliebig groß werden (maximal Anzahl Gäste minus eins ;)). Die Wartezeit ist nicht kalkulierbar. “Moment”, wird jetzt der eine oder andere sagen, “die Reifenrutsche kann auch nicht zaubern”. Das ist korrekt, die Reifenrutsche verlegt den Teil der Warteschlange, der über dem WIP-Limit liegt, nach außerhalb des Systems. Dieser zweite Teil der Warteschlange sind die Badegäste, die in der Auslaufzone darauf warten, einen Reifen abzubekommen. Wo liegt nun der Vorteil? Für mich unter anderem in der Transparenz.

Transparenz

Bei der Reifenrutsche muss ich gar nicht zwischen der Gebäudekonstruktion nach oben spechten, wie lange die Schlange ist. Ich muss also nicht in das System hineinschauen.Ich kann von außen erkennen, ob das System Kapazitäten frei hat, ich sehe auf einen Blick, ob eine Reifen rumliegt oder nicht. Das ist natürlich nur für Pull-Denker interessant, die auf die Kapazitäten des Systems Rücksicht nehmen (und denen bewußt ist dass zu viele stehende Reifen / Tickets / Aufgaben im System richtig teuer sind).

Flow

Wenn Kapazitäten frei sind, bin ich in definierter Zeit auf der Rutsche. Das System hat also eine kalkulierbare Antwortzeit bzw. Bearbeitungszeit. Der Preis dafür: Zu akzeptieren, dass jedes System eine begrenzte Kapazität hat (Manager aufgemerkt, das ist wirklich so ;)). Der Kreislauf mit den Reifen ist immer in Bewegung, im Fluß. Haha, darum ist das ja auch die Canyon-Rutsche. Nein, ich will damit sagen: Diskussionen, wer denn nun der Nächste ist oder ob jetzt Kind A mit Kind B oder Kind C rutscht, finden alle außerhalb des Systems statt (unten beim Warten auf freie Reifen) und wirken dadurch nicht verzögernd.

Regeln

Für die Erwachsenen waren die Regeln meistens implizit klar: Wer mit dem Reifen unten ankommt, muss ihn an den ersten Wartenden abgeben, auch wenn er sofort noch einmal rutschen will, und sich wieder hinten anstellen. Manchen Jugendlichen war das nicht so klar, voll der Freude über den Reifenbesitz sind ein paar Rutscher mit ihrem Reifen an den Wartenden vorbei sofort wieder die Treppe hoch gerannt. Das ist ja wie im echten Leben, das beste Werkzeug bringt nichts, wenn sich die Handelnden nicht auf einen Umgang damit geeinigt haben.

Fazit

Bei mir sind folgende Punkte hängen geblieben:

  1. In diesem Fall waren Warteschlangen nicht erkennbar teuer (vgl.diesen Beitrag). Trotzdem fand ich die Kanban-Reifenrutsche besser als die andere (also auf die Prozessaussteuerung bezogen, nicht auf die bremsende Badehose). Denn wenn ich am Vorbeilaufen einen freien Reifen gesehen habe, bin ich oft spontan zur Rutsche, denn ich wusste, dass ich sehr schnell dran komme. Transparenz schafft Flexibilität.
  2. Auch hier sind die Vorteile der Reifenrutsche für “Push-Denker” nicht erkennbar. Oft höre ich bei Kanban-Einführungen: “Mir ist doch egal ob mein Ticket im Backlog hängt oder im System”. Das ist richtig, die gesamt-Lieferzeiten sind ähnlich, jedoch nicht die Durchlaufzeiten. Bei Kanban kann ich bis zuletzt die Reihenfolge und die Priorität ändern. Ohne ins System eingreifen zu müssen. Im Hallenbad konnte ich mich spontan zum Rutschen entscheiden, oder dagegen. Ohne auf der Schlange in der Wendeltreppe umkehren zu müssen. WIP-Limitierung generiert also viel Flexibilität.
  3. Bei Kanban-Einführungen werden die Board-Regeln oft als Nebensache angesehen. Doch ohne sie gibt es unnötige Diskussionen und der Fluß kann sich nicht einstellen. Ebenso bei der Reifenrutsche. Obwohl ich kein Freund von Gebots- und Verbotsschildern bin, im Hallenbad hätte eine Spielregel (wem geb ich den Reifen?) noch mehr Schwung und ein besseres “Betriebsklima” in den Rutschprozess gebracht.
  4. Bringt es was mit Führungskräften aus der Push-Welt ins Hallenbad zu gehen? Hmm.. vielleicht sind die Parallelen zur Tagesgeschäft zu subtil. Dann doch besser das Papierfliegerspiel. Da kann man auch mit den teuren Beständen ganz gut argumentieren.

Das war der Versuch, mit dem Hallenbad für Kanban-System zu argumentieren. Ob es gelungen ist, müsst Ihr beurteilen. Vielleicht ist es auch ein doofes Beispiel. Aber als Arbeitsweltverbesserer bleibe ich weiter am Ball (bzw. am Board oder am Rutschreifen).

 

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