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18. November 2025

Wie ich versehentlich einen (Fachbuch-)Bestseller geschrieben habe

Im Frühjahr 2024 bin ich nach einer Eingebung vom Sofa aufgestanden und habe 3 Tage lang ohne Pause auf meinem Notebook getippt. Das Ergebnis war ein Fachbuch, dessen Verkaufszahlen (relativ für die Szene) durch die Decke gegangen sind. Wie das alles kam, wie ein Buch produziert wird und was eine Schultergelenksprengung damit zu tun hat, erzähle ich in diesem Artikel.

Ein Notebook und kein Sofa

An einem Freitagnachmittag, es muss der 14.06.2025 gewesen sein, lag ich nachmittags nach dem letzten Meeting auf dem Sofa und habe über das Leben nachgedacht – und über manche Details darin. Eines der Details: Meine Flugschüler, die ich im Nebenjob zur Instrumentenflugberechtigung ausbilde, haben oft noch nicht die Strukturen eines Flugs nach Instrumentenflugregeln (im Volksmund „Blindflug“) verinnerlicht und können sich unter der hohen Workload in der Flugausbildung auch nicht ein mentales Modell dafür aufbauen. Als Fluglehrender erzählt man dann immer dieselben Stories ohne dass sie irgendwie ankommen – und wenn doch, ist die Ausbildung geschafft und der/die nächste Schüler*in sitzt zu meiner Linken.

So kam mir an besagtem Tag auf besagtem Sofa die Idee, alles was ich immer erkläre einmal vernünftig aufzuschreiben. Der nächste Gedanke war dann, das ganze nicht als Whitepaper zu veröffentlichen, sondern als Buch. Ich habe ja einen Verlag. Da ist das ja eine Kleinigkeit. Da hab ich ja schon ganz andere Dinge gemacht. Und – so die Idee – es wäre eine gute Idee, das ganze als Charity-Projekt aufzuziehen und alle Gewinne aus dem Buch zu spenden, zum Beispiel an die Stiftung Mayday. Das war der letzte Gedanke auf dem Sofa, das klang nach so einem lustigen Projekt, dass ich mir einen Kaffee gebastelt habe und mich an den Computer gesetzt habe.

Drei Tage lang habe ich gefühlt durchgeschrieben und gefühlt nicht das Haus verlassen (die Erinnerung verblasst nach 18 Monaten, selbst in meinem jugendlichen Gehirn). Am Sonntagabend hatte ich dann ca. 80% meines Buchs fertig. Parallel zum Tippen habe ich mir das fertige Buch schon mal imaginiert (so sagt man doch heute?): Ein Taschenbuch, ca. 100-150 Seiten. Es soll „Die kleine IFR-Fibel“ heißen und ein Retro-Cover erhalten. Ich hatte optisch ein Plakat von einem Luis-Trenker-Film im Kopf – die, die nach 1980 geboren sind, können ja mal danach googeln. So machte das alles sehr viel Spaß. Parallel hatte ich im aviatischen Umfeld meine Unterstützer*innen für das Review rekrutiert: Die drei Fluglehrer aus meiner lustigen Messenger-Gruppe für die inhaltliche Absicherung und eine gute Freundin mit Pilotenlizenz für die Kundensicht. Zufrieden, und mit einer beachtlichen Anzahl Word-Seiten auf der Festplatte, bin ich dann am Sonntagabend ins Bettchen geschlüpft und am Montag wieder als Unternehmensberater aufgewacht. Am kommenden Freitag sollte es weitergehen und das Buch komplettiert werden.

Klaviertastensyndrom

Am Dienstagabend war ich noch mit dem Fahrrad Freunde besuchen und bin gegen 22 Uhr mit auf dem Drahtesel nach Hause geflitzt. An einer Kreuzung stand ein Pannenfahrzeug und eine Frau stand daneben. Aus flotter Fahrt habe ich mich durch eine Rufverbindung nach dem Wohlbefinden der jungen Dame erkundigt, mit dem es, der Antwort nach, zum Glück gut bestellt war. Also den Blick wieder nach vorn gerichtet und da macht der Radweg glatt eine echt fiese S-Kurve, um nach jener in Flucht mit der Radspur an der Fußgängerampel zu enden. Leicht überrascht von der Streckenführung habe ich eine Vollbremsung eingeleitet, dennoch tendierte das Vorderrad unentschlossen zwischen Asphalt und angrenzender Wiese, bis ich letztendlich aus geringer Fahrt nach links umgekippt bin. Hui das tat weh, aber bestimmt ist es nur ein blauer Fleck. Die Pannenfahrerin der ich eben noch helfen wollte schritt nun ihrerseits zur Hilfe, doch ich lehnte dankend ab, musste ich doch nur noch eine halbe Stunde nach Hause radeln. Gesagt getan.

Um 4 Uhr morgens erwachte ich mit leichtem Harndrang und sehr sehr starken Schmerzen in der Schulter. Da war mir klar: Es war mehr als ein blauer Fleck. Nach 30 Minuten Beratschlagen mit mir selbst habe ich den Notruf gewählt und einen Rettungswagen beantragt, was mir auch gewährt wurde. Die Ärztin in der Notaufnahme war von einer solchen Standardverletzung nicht sehr beeindruckt. Nach einer Röntgenaufnahme führte sie mir das Klaviertastensyndrom vor: Das Schlüsselbein ist intakt, aber aufgrund des Verlusts alle Bänder freifliegend unter der Haut und man kann es durch die Haut nach untern drücken wie ein Klaviertaste. Pling.

Damit musste ich nicht nur meine für diesen Tag geplante Reise zum Scrum Day absagen und meinen Auftritt dort reorganisieren, sondern auch einen Arzt suchen (in der Notaufnahme gabs nur ein Foto und eine Armschlinge) und (um mal zu diesem Artikel zurückzukehren) ersteinmal mein Buchprojekt auf den verschriebenen Eisbeutel legen.

Buchstabe für Buchstabe zurück ins Business

Drei Businesstrips, eine Schulter-OP und 53 schlaflose Nächte später wollte ich mein Buchprojekt wieder aufnehmen, ich war ja fast fertig. Da musste ich erkennen, dass der linke Arm noch zu nichts zu gebrauchen war: Die linke Hand auf den Tisch zu legen und zur Tastatur zu führen, war mit unendlichen Schmerzen verbunden. Also blieb der linke Arm auf meinem Schoß und ich begann mit der rechten Hand Buchstabe für Buchstabe einzutippen. Meine Schreibgeschwindigkeit lag gefühlt bei 7% der normalen Geschwindigkeit. Das Hauptproblem: Wer drückt mir, wenn nötig, die Shift- oder Ctrl-Taste? Eine Lösung musste her. Diese war dann eine per Paketdienstleister gelieferte Bluetooth-Tastatur für ein Tablet, welche ich als zweite Tastatur mit meinem PC koppelte. Mein Gedanke: Die kann ich auch noch für mein iPad gebrauchen, wenn die Schulter wieder heile ist. Mit der Zweittastatur konnte ich immerhin die linke Hand auf die Kante der Tischplatte legen und wenn nötig die Shift-Taste drücken.

Buchentstehung mit einem Arm (nicht auf dem Bild) und zwei Tastaturen

Für mich war der Schreibprozess nicht nur Heilung der körperlichen und seelischen Dellen nach dem Fahrrad-Crash, sondern auch eine inhaltliche Weiterentwicklung. Zu allen Behauptungen, die ich auf Basis meiner jahrhundertlangen Erfahrung aufgestellt habe, wollte ich auch eine Quelle angeben. Entsprechend viel Zeit habe ich in den Regelwerken der Europäischen Luft- und Raumfahrtbehörde EASA verbracht und einiges dazugelernt. Der Aufwand hat sich auf jeden Fall gelohnt, auch wenn es nur darum geht, aufmüpfigen Flugschüler*innen die Gesetzestexte zitieren zu können. So kam Tag für Tag mehr Text dazu, bis eine erste Version bereit war, für das Review mit den Kolleg*innen. Das war mein erstes Fachbuch mit vielen externen Reviewern und das Feedback war wirklich wertvoll. Überrascht war ich von dem zeitlichen Aufwand, das viele Feedback (viele kleine Unschärfen) im Text zu beheben, teilweise musste ich ganze Abschnitte neu schreiben. Gefühlt war das Einarbeiten des Reviews 50% des Aufwands für die initiale Texterstellung. Aber vielleicht täuscht das auch durch die gelähmte Flosse.

Ich bin im Verlagsbusiness, Baby

Ende des Sommers waren dann Text und Schulter hinreichend stabil um in die Produktion einzusteigen. Parallel zum Review hatte ich noch einen Anhang mit vielen nützlichen Zusammenfassungen (zum Ausdrucken) und Zusatzinfos geschrieben. Das Gesamtwerk ging dann an die geschätzte Dolores fürs Lektorat. Mein Anspruch ist, dass ich bessere Qualität liefere als etablierte Verlage, da rechnet sich die Investition in Dolores Review nicht immer wirtschaftlich, aber in jedem Fall im Wertesystem.

Das Buchformat war schnell gewählt, und für den Buchsatz wählte ich eine klassische Serifenschrift. Entsprechend schnell waren in InDesign der Satzspiegel (die Ränder) und die Absatzformate definiert. Der Rest war Setzer-Standard: Lebenden Kolumnentitel einfügen und partiell mit der Laufweite spielen, um Schusterjungen und Hurenkinder im Satz zu vermeiden(*). Ja, die Setzersprache ist eine eigene Welt. Ich kenne auch nur die Basics, aber für einen normalen Buchsatz komme ich mit InDesign und einem kleinen Setzerlehrling-Angebervokabular komme ich ganz gut klar.

Für das Cover habe ich ChatGPT mit der Illustration beauftragt und schon vom ersten Vorschlag war in hin und weg. Der größere Aufwand war, die Schriftart für das Cover zu finden. Dazu musste ich wirklich einige Luis-Trenker-Plakate googeln und einen signifikanten Lebenszeitanteil in Adobe Fonts verbringen. Dann hatte ich sie: „Cortado“ heißt meine neue Freundin – da bot es sich an, diese Schrift auch für die Abschnittsüberschriften zu verwenden. Noch bevor der lektorierte Text von Dolores zurückkam, habe ich einen ersten Probedruck beauftragt, vor allem um die Farben des Covers und den Satzspiegel besser beurteilen zu können. Beim Satzspiegel ist insbesondere der Bundsteg (wie viel Rand macht man innen auf den Seiten für die Klebebindung des Buchs) ein wenig Trial-and-Error. Da muss man ausprobieren wie bei einer bestimmten Seitenanzahl bei einer bestimmten Druckerei der Buchaufschlag und der optische Eindruck wirkt. Das konnte ich auf jeden Fall mal testen, bevor Dolores liefert, denn der Umfang des Buchs war ja inzwischen ziemlich klar.

Parallel ging es um die Preisfindung. Im Portal für die Druckerei wurde mir bei diesem Buchformat- und umfang ein Ladenpreis von 8,99 Euro vorgeschlagen. Das mag für Romane passen, aber für so ein Fachbuch dachte ich eher an 15 Euro. In Rücksprache mit den Reviewer*innen habe ich mich in meinen Gedanken dann auf 25 Euro hochiteriert. Annahme: Die Zielgruppe ist solvent und für einen guten Zweck kaufen die Leute auch bei Zweifeln das Buch. Parallel kann ich mit der hohem Marge schon bei einem relativ kleinen Verkaufsvolumen meine Auslagen für das Lektorat bezahlen und komme früher in den „Plus-Bereich“ für die Stiftung Mayday.

The Eagle has landed

Nach Einarbeitung des Feedbacks von Dolores und zwei weiteren Probedrucken, war ich bereit für den Endspurt der Produktion. Der letzte Schritt war, ein PDF mit dem kompletten Buchsatz („Buchblock“) an Dolores zu schicken, für die zweite Runde. Hier sind noch einmal hunderte Tipp- und Kommafehler aufgetaucht, die ich dann in den finalen Buchsatz eingearbeitet habe. Jetzt konnte ich das Buch „releasen“ also bei der Druckerei zur Veröffentlichung in Auftrag geben. Dazu musste ich zwei meiner ISBN-Nummern angeben, eine für die Printversion und eine für die E-Book-Version. Auch nach vielen verlegten Büchern ist dieser Schritt für mich immer noch sehr aufregend, denn nach ein paar Klicks im Portal der Druckerei wir das Buch bei allen Großhändlern gelistet und kann ab dann überall im Buchhandel erworben werden. Die üblichen Zweifel, ob alles so passt und ich nicht übersehen habe, muss ich da jedes Mal mit hoher mentaler Kraft beiseiteschieben.

Nach Veröffentlichung des Buches gibt es für den Verleger (m/w/d) noch ein paar Fleißaufgaben zu erledigen. Für Printausgabe und E-Book müssen Einträge in der VLB-Datenbank erstellt werden und es müssen physische Belegexemplare des Buchs an die Landes- und Nationalbibliothek versendet werden. Wie krass. Mein Schnapsidee-Pilot*innenbuch liegt jetzt zweifach im Bunker der Nationalbibliothek in Frankfurt.

Danach habe ich als erstes 20 Exemplare für mich bestellt und jeder/jedem Reviewer*in ein signiertes Buch mit einem Text des Dankes und zwei „cleanen“ Exemplaren zum Weiterverschenken zugeschickt. Damit waren auch meine üblichen Zweifel, dass ich Buchproduktion nicht doch was  verbockt hatte, verschwunden und ich konnte in die Vermarktung einsteigen. Ein Schritt war, an die üblichen Flugbedarfshändler (dass es das Wort überhaupt gibt?) je ein Exemplar mit Anschreiben zu versenden. Der zweite Schritt war, im wichtigsten Pilot*innenforum im deutschsprachigen Raum, dem „Pilot und Flugzeug“-Forum (liebevoll Puff genannt). Letzteres hat den Durchbruch für das Buch gebracht. Das Buch kam Ende Oktober auf dem Markt und bis Weihnachten hatte ich 350 Bücher verkauft. Damit war nicht nur das Lektorat abbezahlt, sondern ich konnte auch 2.000 EUR an die Stiftung MayDay spenden.

Das Buch war in November und Dezember in den Bestenlisten, sowohl bei der Druckerei (die größte Print-on-Demand-Druckerei Deutschlands) wie auch bei Amazon. Ich hatte eine Nische bedient und diese perfekt getroffen. Zusammen mit den Bestellungen der Flugbedarfshändler habe ich in wenigen Monaten über 500 Bücher verkauft. Das ist natürlich kein Vergleich mit Harry Potter aber für die kleine Zielgruppe war das ein Riesenerfolg und hat alle meine Erwartungen übertroffen.

Auf der internationalen Luftfahrtmesse „Aero Expo“ habe ich mein Buch entdeckt.

Und jetzt?

Der Markt ist wie erwartet 2025 in die Sättigung gekommen, die Verkäufe haben sich bei ca. 20 Büchern im Quartal stabilisiert. Das wird auch weiterhin immer wieder kleine Spenden generieren. Hat sich das alles gelohnt? Auf jeden Fall. Ich habe basierend auf einer Schnapsidee auf dem Sofa das neue Standardwerk für die Instrumentenflug-Praxis erschaffen. Ich habe inhaltlich noch ein paar Aspekte dazugelernt und habe Gutes getan, auf Kundenseite und auf Spendenempfängerseite. Und ich habe gelernt, wie oft man die Shift-Taste beim Schreiben benötigt, eine Schultergelenksprengung wäre dazu wegen mir nicht notwendig gewesen. Aber ich auch hier habe ich dazugelernt: Auch bei kurzen Tripps mit dem Citybike hab ich jetzt immer meinen Radhelm auf. Yeah!

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